ASPECTS OF GROWTH
PROLOG
Das Wuchernde ist so tödlich wie lebensspendend. Das Wuchernde ist außer Kontrolle. Die Pflanzenkörper brechen aus Ecken hervor, lauern dem Zuschauer auf, überziehen Saalwände, winden sich aus Belüftungsrohren, überschreiten Grenzen. Die Installationen Birgit Knoechls sind eine bedrohliche Naturgewalt. Der üppig barocke Schwarzweißdschungel überfordert und verführt, erschrickt und lockt. Sattschwarze kompakte Arbeiten, die an Mutationen zwischen Insekt und Pflanze gemahnen, überwiegend in weiß gehaltene zarte Cut_out Objekte, spielerisch in Licht und Schatten. Das Wachstum ist im ureigensten Sinn als work in progress zu verstehen: Installationen unterschiedlichster Größen entstehen allesamt aus einem modularen System. Doch manchmal nimmt die Arbeit auch den umgekehrten Weg, nicht den der urknallhaften Ausbreitung, sondern den des Rückzugs in die Wunderkammer der Renaissance: sicher hinter dem Glas kleiner Schaukästen in Zaum gehaltene Pflänzchen, filigran und zerbrechlich, beispielsweise in langen Reihen eines beeindruckenden Pflanzenarchivs auf Museumswände gebannt. Dann wieder kleine, streng dezente Tuschezeichnungen, die mit den kantig kristallinen kompakten Objekten kontrastieren. Zurückhaltung und Explosion: das sind die beiden Pole, zwischen denen Birgit Knoechls Arbeit oszilliert. Zwischen Science-Fiction-Film und historischem Archiv: ein Alpha und Omega ist diese Zähmung und ihr Gegenspieler, das ekstatische Wachstum.
Text by Julya Rabinowich
published in ASPECTS OF GROWTH – BIRGIT KNOECHL
VERLAG FÜR MODERNE KUNST
2015